Bisher ist die Sterberate durch COVID-19 in Deutschland sehr niedrig. Damit dies so bleibt, ist eine Verfügbarkeit von speziellen Medikamenten und Schutzausrüstung, genügend Ärzten und Pflegepersonal sowie intensivmedizinischen Infrastrukturen für die uneingeschränkt gute Versorgung aller schweren Fälle erforderlich.
Zur Abmilderung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen haben Bund und Länder zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen für die Wirtschaft ergriffen und mit den Sozialschutzpaketen die Sozialleistungen deutlich erhöht. Hohe Infektionszahlen
führen zu hohem Krankenstand und vielen Quarantänefällen, das beeinträchtigt die Wirtschaft und gefährdet die Aufrechterhaltung der Infrastruktur. Die Verunsicherung von Unternehmen und Verbrauchern in einem nicht kontrollierten Infektionsgeschehen dämpft Konsum und Investitionen. Auch der internationale Vergleich macht derzeit deutlich, dass die Staaten wirtschaftlich besonders gut durch die Krise kommen, die ein besonders niedriges Infektionsgeschehen haben. Insofern ist ein Konzept, das notwendige Beschränkungen von Teilen der Wirtschaft mit Hilfen unterstützt und auf ein kontrolliertes, niedriges Infektionsgeschehen setzt, auch gesamtwirtschaftlich und im Hinblick auf die sozialen Folgen am erfolgversprechendsten.
Hinzu kommt, dass ein hohes Infektionsgeschehen nur noch durch erhebliche Beschränkungen kontrolliert werden kann, die, je später sie erfolgen, umso einschneidender und länger erfolgen müssen. Ausreichende Testkapazitäten und die vollständige Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter sind wesentliche Faktoren für die Kontrolle des Infektionsgeschehens. Steigt die Zahl der Neuinfektionen über die Schwelle, bei der eine Kontaktnachverfolgung möglich ist, beschleunigt sich das Infektionsgeschehen, da Ansteckungsverdächtige nicht mehr informiert und isoliert werden können. Fehlende Testkapazitäten führen ebenso zu nicht erkannten Infektionen. Beides führt zu einer erhöhten Dunkelziffer an Infektionen und in der Folge zu einer Beschleunigung der Infektionsdynamik, die anschließend nur noch durch zunehmende Beschränkungen durchbrochen werden kann. Deshalb ist eine Kontrolle des Infektionsgeschehens unterhalb einer Größenordnung, in der Kontaktnachverfolgung und Testkapazitäten überfordert werden, das wesentliche Ziel der Strategie von Bund und Ländern. Das Maß für die Überforderung von Kontaktnachverfolgung und Testkapazitäten lässt sich aus der Inzidenz der Neuinfektionen ableiten. Diesen Maßstab legt auch der neue Paragraph 28a des Infektionsschutzgesetzes an, der in dieser Woche im Rahmen des Bevölkerungsschutzgesetzes in Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden soll. Dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat gebührt für das schnelle Handeln in diesem Zusammenhang großer Dank. Bund und Länder haben vereinbart, dass die Gesundheitsämter personell so aufgestockt werden, dass genügend Kontaktnachverfolgungspersonal bereitsteht, um täglich die Kontakte von 5 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner nachvollziehen zu können, das entspricht 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner pro Woche. Dies ist gegenüber der vorpandemischen Zeit bereits eine Kraftanstrengung. Mit erheblicher Unterstützung von Landes- und Bundesbehörden sowie der Bundeswehr wird daran gearbeitet, dass auch bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche die Kontaktverfolgung noch vollständig erfolgen kann. Ist dieser Wert bundesweit erreicht, treten auch Engpässe bei den Testkapazitäten auf. Nehmen die Infektionszahlen weiter zu, folgen mit zeitlicher Verzögerung die Überforderung von Medikamentenversorgung und Verfügbarkeit von Schutzausrüstung, Mangel an Ärzten und Pflegepersonal sowie intensivmedizinischen Infrastrukturen. Insofern lassen sich die verschiedenen Stufen der Überforderung alle aus der Inzidenz der Neuinfektionen und deren Dynamik ableiten. Zur Beurteilung aller Aspekte der Pandemie werden diese Spätindikatoren ebenfalls intensiv betrachtet, sowie weitere Indikatoren, die zusätzliche Aussagen insbesondere zur Infektionsdynamik ermöglichen, wie der r-Wert oder die Verdopplungszeit.
Zur Überwindung der Pandemie und für eine Rückkehr zum normalen Leben ist es erforderlich, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung über eine Immunität gegen das SARS-CoV2-Virus verfügt. Diese entsteht in Folge durchgemachter Infektionen oder vor allem durch eine effektive Impfung. Es ist erfreulich, dass es bereits zahlreiche Impfstoffe in der klinischen Erprobung gibt und dass ein in Deutschland entwickelter Impfstoff bereits unter den strengen europäischen und amerikanischen Voraussetzungen eine Zulassung beantragt und erfreuliche Daten hinsichtlich der Wirksamkeit veröffentlicht hat. Dazu hat auch die erhebliche Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung beigetragen. Angesichts dieser Entwicklung und den oben genannten Risiken hoher Infektionszahlen ist es ethisch nicht vertretbar, hohe Infektionszahlen hinzunehmen, statt den erhofften Erfolg einer möglichst breiten Impfung der Bevölkerung bereits im nächsten Jahr durch diesen oder einen anderen erfolgreichen Impfstoff abzuwarten. Deshalb bereiten sich Bund und Länder bereits intensiv darauf vor, möglichst kurzfristig in der Lage zu sein, je nach Verfügbarkeit von Impfstoffen möglichst breite Teile der Bevölkerung zu impfen. Solange nicht genügend Impfstoff für alle Impfwilligen in Deutschland verfügbar ist, werden die ständige Impfkommission beim Robert-Koch-Institut zusammen mit dem Deutschen Ethikrat und der Nationalen Akademie der Lebenswissenschaften Leopoldina Empfehlungen für Prioritäten bei der Impfung herausgeben. Eine Impfpflicht gegen SARS-CoV2 ist nicht sinnvoll und wird von Bund und Ländern abgelehnt.
Inwieweit die Maßnahmen, die am 2. November in Kraft getreten sind, ausreichen, um die Zahl der Neuinfektionen zügig wieder zu senken, lässt sich derzeit nicht präzise vorhersagen. Deshalb werden die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 25. November vor dem Hintergrund weiterer Erkenntnisse über konkrete Schlussfolgerungen sowie die weitere Perspektive für Dezember und Januar im Rahmen eines Gesamtkonzepts diskutieren und entscheiden. Vor diesem Hintergrund vereinbaren die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder: