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Hüben wie drüben: Versuchte Staatsstreiche

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Das versuchte Ausweiten des Postfaktischen durch Demokratiefeinde trägt immer wildere Blüten. Menschen, aufgestachelt durch die Lügen von Rechtsextremen, rufen zum Sturm auf die Republiken.

Die Bilder ähneln sich auf erschreckende Weise: Der Sturm der rechtsextremistischen Vereinigung Querdenken auf den Berliner Reichstag, Sitz der Bundesregierung, am 29. August 2020 und der wutbürgerliche Mob in Washington, USA, beim Sturm aufs Kapitol, Sitz des Kongresses, am 6. Januar 2021. Beide Gruppierungen wurden an- und aufgestachelt von narzisstischen Populist*innen, die für die Verbreitung faschistoiden Gedankenguts stehen.

Es beginnt immer gleich und unspektakulär durch das Verbreiten erster Lügen. In Deutschland zählen zu den tatsächlich geglaubten Lügen die des geplanten Bevölkerungsaustauschs durch die Regierung und die Lüge der „PLANdemie“. Dass also Corona von der Regierung ausgedacht worden sei, um die Bevölkerung von Deutschland heimlich, still und leise durch Migrant*innen zu ersetzen. Unter diesen Erzählungen kann man Menschen versammeln, die augenscheinlich nicht zusammengehören: Antisemiten, Esoteriker, Nazis, Wirtschaftsliberale, also Menschengruppen, die sich von der Gesellschaft abgekoppelt haben, um sich eine eigene Realität zu erschaffen.

„Soziale“ Netzwerke als Brandbeschleuniger

Die sogenannten „Sozialen“ Netzwerke tragen ihren gehörigen Teil an dieser Entwicklung. Viele Menschen besitzen schlicht keine Medienkompetenz und können ob der Fülle des Angebotes nicht mehr zwischen seriösen und unseriösen Medien unterscheiden. Nachrichtenblogs, die wie echte Nachrichtenseiten ausschauen aber ausschließlich rechtspopulistische Falschnachrichten verbreiten, wie etwa Journalistenwatch, Tichys Einblick, KenFM oder „Die Freie Welt“, sind nur inhaltlich von seriösen Seiten zu unterscheiden. Weiterverbreitet über Facebook oder Telegram, ungeprüft und unreflektiert, bleiben die Inhalte halber Überschriften bei den selbsternannten „Selbstdenkenden“ hängen und verfestigen sich. Aufgestachelt durch die erlogenen Inhalte, die ja genau das widerspiegeln was die Wutbürger*innen hören und denken möchten, kommt es zu antidemokratischen Übersprungshandlungen und zu Bildern wie in Berlin, wenn ein Mob durch gezielte Falschmeldungen aufgehetzt wird und unter Führung der Heilpraktikerin Tamara K. einen Staatsstreich in Deutschland anzetteln möchte. Die selbsternannte Reichsbürgerin Tamara K. rief wörtlich:

„Wir schreiben heute hier in Berlin Weltgeschichte. Guckt euch um, die Polizei hat die Helme abgesetzt. Vor diesem Gebäude und Trump ist in Berlin. Die ganze Botschaft ist hermetisch abgeriegelt, wir haben fast gewonnen. Wir brauchen Masse. Wir müssen jetzt beweisen, dass wir alle hier sind. Wir gehen da drauf und holen uns heute, hier und jetzt unser Hausrecht. Wir werden gleich diese komischen kleinen Dinger brav niederlegen und gehen da hoch und setzen uns friedlich auf Treppe und zeigen Präsident Trump, dass wir den Weltfrieden wollen und dass wir die Schnauze gestrichen voll haben. Wir haben gewonnen.“

Natürlich war Trump nicht in Berlin, und selbstverständlich hat die Demokratie nicht vor ihren Feinden kapituliert. Aber jenseits der Realität, in der postfaktischen Wahnwelt der deutschen Wutbürger*innen, kann eine Lüge nicht hanebüchen genug sein, um geglaubt zu werden.

Die Lüge vom Wahlbetrug in den USA

Donald Trump kennt das Verfahren gut und nutzt es bereits seit seiner Amtseinführung. Gewählt durch ein Wahlsystem, das es ermöglicht hat, dass er Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden konnte, obwohl er von weniger Amerikaner*innen gewählt wurde als seine Kontrahentin Hillary Clinton, befeuert er seit Tag 1 seiner Präsidentschaft das Postfaktische. Nie seien mehr Menschen zu einer präsidentischen Amtseinführung erschienen als bei ihm, Donald Trump, obwohl unzählige Fotos das Gegenteil bewiesen. Als „alternative Fakten“ bezeichnete die damalige Trump-Beraterin Kellyanne Conway diese Lüge, und diese „alternativen Fakten“ ziehen sich durch die gesamte Trump-Präsidentschaft.

Gestern gipfelten die Lügen des Reality TV-Darstellers Donald Trump in einem Sturm aufs Kapitol. Mit einer weiteren Rede voller Lügen stachelte Trump die us-amerikanischen Wutbürger*innen auf, um die Zertifizierung des amtlichen Wahlergebnisses der vergangenen Präsidentschaftswahl, deren Sieger Joe Biden heißt, zu verhindern. Weiße Troglodyten in Fellen, mit Kriegsbemalung und Ochsenhörnern, bewaffnet u.a. mit Knüppeln, stürmten den Kongress. Bewaffnete Polizeibeamte blockieren die Türen, Sitzungen werden unterbrochen, Abgeordnete in Sicherheit gebracht, die Nationalgarde muss einschreiten. Am Ende sind mindestens 50 Menschen verhaftet, vier sind tot. Der Kongress kam nach Niederschlagung des versuchten Staatsstreiches wieder zusammen und zertifizierte die Wahlniederlage des Populisten Trump demonstrativ.

Aus dem Jetzt lernen für die Zukunft

In Deutschland haben viele die Lehren aus der nationalsozialistischen Vergangenheit schlicht vergessen. Wirtschaftsliberale forderten jüngere Schulabsolvent*innen, für mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit, also wurde der Lehrplan zusammengestrichen, die Schulzeit verkürzt, vermeintlich überflüssige Fächer wie Geschichte und Sozialwissenschaften, Religion und Philosophie fielen dem Rotstift zum Opfer. Aber wir haben das Jetzt und Hier. Wem die vielen Millionen Toten von 1933 bis 1945, deren Tod durch die tumben Lügen der damaligen Nazis initiiert wurde, egal sind, weil es „schon so lange her ist“, hat jetzt eine weitere Chance zum Lernen und auch zur Umkehr. Mit der AfD sitzen auch heute wieder Faschist*innen in Bundestag und Bundesrat. In Remscheid ist ein Ableger der rechtsextremen Pro-Bewegung in Fraktionsstärke im Stadtrat vertreten, in Wuppertal und Solingen stören Vertreter*innen der rechtsextremen AfD die Demokratie, deren Fraktionen sind ob der eklatanten Inkompetenz und Egomanie der jeweiligen Vertreter bereits wieder zerbrochen.

Was wir Demokrat*innen tun können? Nicht schweigen. Unrecht anprangern, Lügen auch offen als Lügen anprangern. Mobbing, Hassrede und Falschmeldungen im Internet melden, offen widersprechen und alle Antidemokrat*innen in den Netzwerken blockieren. Ihnen die Reichweite nehmen. Sie in ihrer selbstgewählten braunen Filterblase sitzen und schmoren lassen, wie in einem „Walk on Water“-Ball, in dem jemand gefurzt hat. Und seien Sie nicht genervt von Menschen, die gegen diese Wutbürger*innen andiskutieren oder deren Methoden entlarven und anprangern. Unterstützen Sie diese Menschen durch einen „Daumen hoch“ oder ein „Gefällt mir“, oder gar durch Teilen von deren Beiträgen. Wutbürger*innen tun dies ohne Unterlass, verbreiten Beiträge, verteilen Daumen, Sternchen und Herzchen, und zeigen den Algorithmen der jeweiligen Internetseiten was „in“ ist. Wenn sich alle Demokrat*innen ebenso verhalten, selbst dezent, und auch viele „Gefällt mir“ für positivistische Inhalte verteilen, können wir die Algorithmen wieder auf die gute Seite der Macht ziehen und den Wutbürger*innen die gefühlte Vormachtstellung in den Netzwerken wieder nehmen. Die Algorithmen sind lernfähig. Wir hoffentlich auch.

Ihr Sascha von Gerishem

Sascha von Gerishem
Sascha von Gerishemhttps://www.luettringhauser.de
Geboren 1977 in Duisburg, aufgewachsen in Wuppertal, Duisburg und am Niederrhein, Alumnus des Collegium Augustinianum Gaesdonck, Studiengang Absatzwirtschaft an der Fontys Hogescholen Venlo, selbstständig seit 1998, u.a. als freier Dozent an diversen Berufsakademien.
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