Das Format „Töttern“, vom Lüttringhauser Kulturkreis.jetzt initiiert, hat sich durchgesetzt. Schon einige Abende sind diskutierfreudig und friedlich, wenn auch hier und da mal hitzig, durchgeführt worden. Dass sich die fünf Bundestagskandidat*innen der demokratischen Parteien im Wahlbezirk 103 (Solingen – Remscheid – Wuppertal II) zusammensetzen und unter der Moderation von Thorsten Greuling über Gott und die Welt debattieren, kommt in der Regel nicht so häufig vor. Und so war denn auch das Aufeinandertreffen der Politikerin und der Politiker die einzige derartige Veranstaltung in Remscheid und eine der größten im ganzen Wahlkreis. Im Saal des CVJM in Lüttringhausen hatten sich am Mittwochabend (15. September, eineinhalb Wochen vor der Bundestagswahl) 50 Interessierte eingefunden.
Der Abend entwickelte sich schnell zu einer „typischen“ Wahlkampfveranstaltung. Thesen und Aussagen wurden hier bestätigt, dort vehement bestritten, und so entwickelte sich ein quirliges Hin und Her aus politischen Statements, kernigen Gegenreden, gelegentlichem Kopfschütteln und durchaus hitzigen Diskussionen.
„Mein Sohn ist 12“, eröffnete Thosten Greuling humorvoll den Abend, „und fragte mich: Du, Papa, kann ein Mann eigentlich Bundeskanzlerin werden? Er kennt es halt nicht anders.“
Kann ein Mann eigentlich Bundeskanzlerin werden?
Aber schnell konzentrierte sich die politische Runde auf globale und lokale Themen. Shoan Vaisi (Die Linke) kam vor zehn Jahren aus dem Iran nach Deutschland und könnte als erster Flüchtling in den Bundestag einziehen. Er konstatierte das völlige Versagen der Bundesregierung in Afghanistan, eine Aussage, die Jürgen Hardt von der CDU und Ingo Schäfer (SPD) so nicht stehenlassen wollten. „Der Anfang unseres Engagements in Afghanistan war gut. Das Ende war nicht so glücklich“, äußerte sich Hardt.
Im Weiteren bekam vor Allem der SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz sein Fett weg. „Der hat den Altschulden-Fonds auf sehr unseriöse Weise in die Welt gesetzt, einfach so, ohne Absprache“, warf Hardt in die Runde und erntete vehementen Widerspruch von Schäfer. Dr. Robert Weindl (FDP) dazu süffisant: „Interessant, wie sich die beiden den schwarzen Peter zuschieben. Dabei vergessen sie, dass richtige Arbeit auf uns wartet: Die Digitalisierung, die Verkehrswende, die Klimafragen.“
Weiterer Streitpunkt war die von den Linken geforderte „Reichensteuer“. Schäfer dazu: „Wir lehnen es ab, dass immer die kleinen Leute die Kohlen aus dem Feuer holen. Jetzt sind auch mal die Besserverdienenden dran.“ Natürlich waren Hardt und Dr. Weindl mit dieser Aussage nicht einverstanden. Insbesondere der FDP-Kandidat ließ es sich nicht nehmen, den Stellenwert, den für seine Partei die Industrie einnimmt, immer wieder zu betonen. „Wir werden die Steuern senken, damit die Industrie brummt.“ Und fügte hinzu: „Es ist ja nicht so, dass wir keine Schulden machen wollen. Aber ich fördere die Wirtschaft ja nicht, indem ich Steuern erhöhe.“ Hardt und Dr. Weindl waren sich darin einig, dass eine höhere Steuerlast nicht bedeute, dass man mehr Geld einnehme.
„Wohlstand, der mit Umweltzerstörung erreicht wird, ist ein schlechter Wohlstand.“
Silvia Vaeckenstedt, B90/Die Grünen
Die große Stunde von Silvia Vaeckenstedt (Bündnis 90 / Die Grünen) schlug beim Thema Klimakatastrophe. „Nur wo Grün draufsteht, ist auch Grün drin“, sagte sie selbstbewusst. „Wir“, und sie sah in die Runde, „wollen alle das Gleiche. Aber wir Grünen wollen es schneller.“ Nach Ansicht des FDP-Vertreters steht die Industrie für die Klima-Wende bereit. „Die wartet nur darauf, das man ihr sagt, wie das vonstatten gehen soll.“ Silvia Vaeckenstedt hielt dagegen. „Wohlstand, der mit Umweltzerstörung erreicht wird, ist ein schlechter Wohlstand. Wir sollten Angst davor haben, was geschieht, wenn nichts geschieht in der Klimapolitik.“ Klare Vorgaben an die Unternehmen forderte Shoan Vaisi. „70 Prozent der Umweltbelastungen stammen von 100 Großkonzernen. Das ist doch Wahnsinn.“ Jürgen Hardt dazu: „Deutschland trägt 2 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Es ist für mich völlig klar, dass die große Lösung jetzt nicht aus unserem Land kommt.“ – „Ein CO2-Deckel macht Sinn“, meinte Robert Weindl. Man könnte synthetische Kraftstoffe entwickeln. Und Wasserstoff einbeziehen. „Es gibt verschiedene Arten, die Umwelt zu entlasten.“
Eine Frau aus dem Publikum, die sich als alleinerziehende Mutter zu erkennen gab, fragte Jürgen Hardt: „Sie alle haben sich Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben. Warum reden Sie alle nur und tun nicht einfach?“ Die wenig souveräne Antwort des CDU-Kandidaten: „Weil es dann weniger Jobs für alleinerziehende Mütter geben würde. Punkt.“ Deutlicher Unmut im Publikum. Shoan Vaisi kommentierte: „Typisch CDU.“ Die Gemütswellen beruhigten sich jedoch wieder.
Weitere Themen waren die auch im Wahlkreis 103 bemerkbare Kinderarmut und deren Bekämpfung, der immer größer werdende Bundestag (Ingo Schäfer: „Der Bundestag ist bald das zweitgrößte Parlament der Welt – nach China!“) und von den Kandidaten bevorzugte Koalitionen. Schäfer und Hardt wollten dazu keine allzu verbindliche Antwort geben („Wir schauen nach der Wahl, was machbar ist“), und alles andere – die Unmöglichkeit einer Koalition zwischen Linken und CDU, die Präferenz der Grünen in Richtung SPD, das Offenhalten aller Optionen bei der FDP – konnte man sich als einigermaßen politisch interessierter Mensch auch denken.
Der Abend zeigte deutlich auf, wo die großen Themen der fünf demokratischen Parteien liegen. Moderator Thorsten Greuling leitete die Diskussion souverän. Eine andere Partei, die in den bundesdeutschen Umfragen im unteren zweistelligen Bereich angesiedelt ist und mit der niemand, noch nicht einmal die Rechtsaußen der CDU, koalieren wollen, war an diesem Abend nicht dabei und wurde auch nicht vermisst.