4.3 C
Remscheid

Die Hoffmann: „Wenn sie Königin von Deutschland wär…“

Veröffentlicht:

Beitrag Teilen:

Angela I. , Stück von Katja Hensel wurde im Teo Otto Theater in Remscheid gespielt und mit viel Applaus belohnt.

Fast hätte man sich gewünscht, im Literatur-, Deutsch- oder Englischunterricht doch besser aufgepasst zu haben, so schnell wechselten die Erzählebenen des Stückes, die die Bremer Shakespeare Company grandios meisterten. Shakespeare, der Name war hier Programm, ob in Sprache, Reimform, Macbeth oder König Lear und alles garniert mit getragener Wagner-Musik, wir trafen sie alle wieder.

Demokratie! Ist! Kein! Brieffreund!

Hensels Stück ist zweieinhalb Jahre alt und so aktuell wie nie. Kanzlerin Merkel tritt ab, nach 16 Jahren. Und keiner hatte sie mehr gesehen, die neue Regierung noch nicht gebildet, so schippert der Regierungskahn führungslos im Gewässer. Das Bühnenbild, eine Wand aus Mosaikstücken stellt alles dar: bespielbare Requisite, Merkels Rückzugsort (der Fundus des Bundestages), die Gesellschaft, bröckelnde Macht.

Merkel (Silke Buchholz) untergetaucht beim Archivar des Fundus (Peter Lüchinger), doch der Chauffeur der Kanzlerin (Markus Seuss) und seine Angebetete, Angelas Stylistin (Petra-Janina Schultz), machen sich Sorgen um Deutschlands Zukunft. „Das ganze Land (…) braucht Führung. Und Merkel haut einfach ab, als wär’s ein Abiball…“ Der Chauffeur ist verliebt in die Stylistin, macht ihr den Hof, will sie heiraten, warum also nicht in Sonnett-Form, das hebt nicht nur den Jambus, sondern auch die Stimmung. Denn es ist etwas faul im Staate, nicht Dänemark, aber Deutschland, inkognito sucht Angela Merkel den Bundestag auf und so wie das Bühnenmosaik zu bröckeln beginnt, so sieht sie ihre Regierungsarbeit auch bald in Scherben liegen. „Ich habe die Demokratie geliebt, verehrt und bewundert damals. Wie einen Brieffreund von drüben! Und dann haben wir uns getroffen. Und dann war es ernüchternd, zäh, aber nie hätte ich die Demokratie fallen gelassen! Nie! Mir sind die Ostdeutschen so fremd, die dieses System nicht wollen, mir sind die Westdeutschen noch fremder, die es nicht verteidigen! Demokratie! Ist! Kein! Brieffreund!“

„Man muss nur genug reden, dann passt irgendwann alles“

Und dann gibt es noch die „Neuen“, die das Erbe antreten wollen. Große Fußstapfen sind das, und große Schuhe. Symbolisch hier, dass ein Politiker sich nach dem Fußballspiel die zu kleinen Socken eines Kindes anzieht. Komischerweise passen sie später. („Man muss nur genug reden, dann passt irgendwann alles“).

Die Kinder (auch gespielt von den sechs Erwachsenen) machen es in ihrem Erlebnis über den Schwimmbadbesuch deutlich: Das Mädchen, das 100 Jahre auf dem Dreimeterbrett stand und angefeuert wurde und nicht sprang. Erst als alle keine Lust mehr hatten, da sprang sie, aber da war das Wasser verdunstet. „Sie war sowieso total langweilig“

16 Jahre und das Land ist im Chaos, die Mauer zerbrochen, die Politik machtlos vor dem Aufstand der Bürger, angegriffen, nicht nur mit Worten. Die vorgetragenen Original Tweets, Posts und Mails sind nur schwer zu ertragen, man ist schier ohnmächtig von so viel Hass. Da kann man den Politiker schon fast verstehen, der wie der geblendete Gloucester aus König Lear sich die Klippen von Dover herabstürzen will (überragend Michael Meyer).

Das letzte Abendmahl

Und Merkel? Die bereitet das letzte Abendmahl vor, deckt die Tafel und verteilt die Tischkärtchen, um mal die Lieblingsfeinde aufeinander loszulassen. Jedoch hört sie nicht, oder will es nicht, die mahnenden Worte der Macbeth-Hexen in Gestalt von Loki Schmidt, Hannelore Kohl und Doris Schröder-Köpf, die beim Skat kloppen unisono tönen „Du bist unser Verderben. ANGELA!“ Und da es nichts wurde mit der Demokratie und selbst der Adler den Bundestagshorst verlassen hat, bleibt wohl nur die Monarchie. Ich bin an dieser Stelle froh, dass wir die allzu große Nähe zur Realität verlassen und es märchenhaft wird im Shakespeare-Universum. Das Stück lag uns wie ein großes Puzzle zu Füßen und jedes Teil hat sich eingefügt, bis es wie die Bühnenbildwand stand. Für mich war es ein unvergleichlicher Abend und ich danke der Bremer Shakespeare Company von Herzen für ihr wunderbares Spiel.

Die Hoffmann
Die Hoffmannhttp://www.die-hoffmann.de
Im Namen der Kultur: Die Hoffmann | Steph Hoffmann, lange Jahre aktives Ensemblemitglied der Lüttringhauser Volksbühne, Kunstschaffende und Autorin verbringt viel Zeit mit Kultur und für die Kultur. Die Hoffmann nimmt ihre Leser mit, um die Teile der Remscheider Kulturszene kennenzulernen, die ihr persönlich gut gefallen. Objektivität? Braucht die Hoffmann nicht. Ihre Kolumne. Ihre Meinung. Sie möchten die Hoffmann einladen? Fragen Sie sie: frag@die-hoffmann.de
- Anzeige -

━ ähnliche artikel

Ehemalige Corona-Infizierte werden befragt

Die Stadtdienste Gesundheit und Statistik der Stadt Solingen starten in dieser Woche eine Bürgerbefragung. In der jüngsten Sitzung des Sozialausschusses wurde die anstehende Befragung vorgestellt,...

4.000 Tage

Eine ernste Komödie von Peter Quilter, Regie Boris Aljinovic, Produktion EURO-STUDIO Landgraf. Was bleibt von uns, wenn wir ohne Erinnerung sind? Eine schreckliche Vorstellung, und was...
- Anzeige -