Die Kundgebungen zum 1. Mai, des internationalen Tags der Arbeit, sind auch in Remscheid traditionell. Um so unglücklicher waren in den vergangenen zwei Jahren die Gewerkschaften, die demokratischen Parteien sowie zahlreiche Vereine und Organisationen in der Stadt, dass der 1. Mai pandemiebedingt ohne große Kundgebung stattfinden musste. Das war mit dem gestrigen Tag Geschichte, denn der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte zu einer Maikundgebung auf den Theodor-Heuss-Platz direkt vor dem Remscheider Rathaus eingeladen.
Um 9 Uhr fand ein den Tag eröffnender Gottesdienst in der evangelischen Stadtkirche statt. Anschließend fand sich der Demonstrationszug zusammen, um von der Stadtkirche zum Platz am Rathaus zu marschieren. Angeführt wurde die Demonstration vom den Sambatrommlern Apito Fiasko, die mit ihren brasilianischen Grooves bei jeder Maikundgebung in Remscheid dabei sind.
Auf dem Theodor-Heuss-Platz war eine große Bühne aufgebaut worden, auf der ein kleineres Banner „Nein zum Krieg“ forderte. Eigentlich hätte dort das Motto „GeMAInsam Zukunft gestalten“ hängen sollen. Als auffiel, dass die Banner verwechselt wurden, war es zu spät, um dies noch zu ändern. Passend war „Nein zum Krieg“ allemal.
Zahlreiche Stände von Vereinen, politischen Gruppierungen und Gastronomen luden zu Gesprächen oder Verzehr ein: Der Stand der Linken stand in unmittelbarer Nachbarschaft zur CDU, Amnesty International war ebenso vertreten wie die Verbraucherzentrale, die Grünen, Remscheid Tolerant gemeinsam mit MUTeinander (Gemeinsam mit Respekt und Toleranz), die SPD Remscheid gemeinsam mit den Remscheider Jusos, die Tafel, der Hanfverband und zahlreiche Kulturvereine der 120 Nationen-Stadt.
Dazu eine Hüpfburg für kleinere Besucher der Veranstaltung. Das kulinarische Angebot reichte von Popcorn über internationale Spezialitäten bis zur Bratwurst. Auf der Bühne stand alles für die Free Bears bereit, eine Band, die Country, Americana und Rock and Roll spielt.
Um kurz vor 11 Uhr erreichte der Demonstrationszug den Platz. Rund 130 Menschen waren mitgegangen. Insgesamt waren etwa 250 Gäste zu den Maireden anwesend. Fahnen und Banner forderten „Schluss mit Mini-Lohn“ oder „Gute Arbeit, guter Lohn“. Auch dabei: Die alevitische Gemeinschaft Remscheid.
In seinem Grußwort freute sich Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz nach zwei Jahren wieder auf einer Maikundgebung sprechen zu können. „Endlich wieder ein 1. Mai, wie er sein soll“, rief er aus und entwarf in seiner Rede ein aktuelles Bild der Stadtgemeinschaft, die, wie er nicht ohne Stolz berichtete, stark sei. „Inzwischen sind rund 750 Menschen aus der Ukraine, zur Hauptsache Frauen und Kinder, in unserer Stadt angekommen“, betonte er. Mast-Weisz äußerte vorsichtige Kritik an der Außendarstellung des Bundeskanzlers und beschwor die Zuhörenden, am 15. Mai zur Landtagswahl zu gehen. „Ich bitte euch nur: Wählt eine demokratische Partei.“
Anschließend wies Peter Lange, Vorsitzender des Stadtverbands des DGB, auf die vielfältigen Probleme in der Gesellschaft hin und zeigte auf, dass die Gewerkschaften ihren Teil zur Lösung derselben leisten würden. „Wir brauchen jüngere Gesichter in den Gewerkschaften“, äußerte Lange, der Landtagskandidat für die Partei Die Linke ist.
Jung-Sozialdemokrat Daniel Pilz stimmte in seiner beeindruckenden Rede zu. Pilz hat als Vorsitzender der Jusos in Remscheid entschieden politisches Profil gewonnen und präsentierte sich als Hoffnung für die Zukunft.
Hauptredner der Veranstaltung war Dr. Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, der in seinen ersten Worten feststellte: „Die Welt der Zukunft braucht Gewerkschaften.“ In seinem gut fünfzehnminütigen Beitrag ging er auch auf den Krieg in der Ukraine ein. „Unser Gegner ist nicht das russische Volk“, betonte Urban, „und nicht die russische Kultur. Unser Gegner ist die korrupte russische Politik-Elite.“ Er erklärte, dass man solidarisch mit der russischen Friedensinitiative sei. Aber auch die anstehenden Lohnverhandlungen wurden thematisiert. „20 Prozent der Kolleginnen und Kollegen arbeiten im Mindestlohn“, führte Urban aus. „Und gleichzeitig gehen die Gewinne der DAX-Unternehmen durch die Decke. Irgendwann wird es unanständig, und irgendwann hört es dann auf, dass sich ein Staat, der so etwas duldet, Sozialstaat nennen darf. Also: In den anstehenden Lohnrunden muss deutlich etwas herauskommen. Und dafür werden wir kämpfen.“
In seiner Rede ging Dr. Urban auf den Rüstungsetat Deutschlands ein, der im Jahr 2022 bei über 50 Milliarden Euro liegt. „Wir brauchen keine neue Rüstungsspirale“, verkündete Urban, „wir brauchen eine neue europäische Sicherheitsordnung.“
Er schloss seine Mairede mit der Aussage, dass die Entlastungspakete wegen der stark angestiegenen Preise im Prinzip eine gute Sache wären, sie aber falsch angewendet würden. „Die Reichen partizipieren mehr davon als die Bedürftigen. Solidarität sieht anders aus.“
Bis knapp 16 Uhr gab es ein reichhaltiges kulturelles Angebot auf dem Rathausplatz.