Im Rahmen eines Spazierganges am Sonntagnachmittag erklärten Günter Urspruch, Pfarrerin Kristiane Voll sowie Pfarrer Uwe Leicht mehr als 30 Interessierten die Belege für jüdisches Leben im Dorf.
Seit nunmehr 1700 Jahren ist jüdisches Leben in Deutschland dokumentiert. Am 11. Dezember 321 erließ der römische Kaiser Konstantin ein Edikt und legte darin fest, dass Juden städtische Ämter in der Kurie der Stadtverwaltung Kölns bekleiden durften und sollten.
Im Bergischen Städtedreieck konzentrierte sich das jüdische Leben seit jeher auf die Städte Solingen und ganz besonders auf Wuppertal. In Remscheid waren nie viele Menschen jüdischen Glaubens ansässig. Günter Urspruch, profunder Kenner der jüngeren Geschichte zwischen Wuppertal-Ronsdorf und Lennep, weiß den Grund. „Juden haben immer Handel getrieben“, berichtet er. „Da bot sich als Lebensmittelpunkt eher Wuppertal an. Hier in Remscheid, in einer Stadt mit Schwerindustrie, fanden die Juden keine Lebensgrundlage. Und die Wenigen, die hier gelebt haben, sind schlicht aus wirtschaftlichen Gründen wieder weggezogen.“
Auch in Lüttringhausen haben wenige Juden gelebt, und entsprechend spärlich sind die Zeugnisse ihres Lebens. In einem einstündigen Gang durch das Dorf kann man sie alle bequem an einem Nachmittag besuchen.
Und überall Naziverbrechen…
Auf dem Gelände der evangelischen Stiftung Tannenhof wurde in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Gedenkstein errichtet, der auf dem Friedhof der Stiftung steht. Der Stein erinnert an zwei ehemalige Patient*innen des Tannenhofs, an Ilse Gutmann und Siegfried Marienthal, zwei jüdische Menschen, deren Geschichte tragisch ist. Im Jahre 1941 drohte die Finanzdirektion Düsseldorf-Nord der Stiftung Tannenhof mit Aberkennung der Gemeinnützigkeit, wenn Menschen, die nicht der evangelischen Kirche angehörten, behandelt würden. Die damalige Leitung der Stiftung gab dem Druck nach und entließ die beiden jüdischen Patienten, die einen Tag nach ihrer Entlassung in Hadamar nahe Limburg ermordet wurden. Im Jahre 2006 wurden am Eingang zur Verwaltung zwei Stolpersteine zum Andenken an sie verlegt.
Auf dem Weg vom Tannenhof in Richtung Dorfmitte kommt man an den Häusern Remscheider Straße 8 und 10 vorbei, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der jüdischen Familie Löwenthal gekauft wurden. 1845 wurden sie an die Familie Kotthaus verkauft, die auch heute noch in Lüttringhausen lebt.
Ermordet wegen Homosexualität
Weitere Stolpersteine kann man in Lüttringhausen finden. Vor dem Haus Richard-Pick-Straße 10 erinnert ein Stein an Hans Hagen, der 1938 wegen Verstoßes gegen den ehemaligen §175 verhaftet und 1941 in Sachsenhausen ermordet wurde. 1945 wurde ebenso in Sachsenhausen der ehemalige Ratsherr Hermann Schmidt umgebracht, dessen Stolperstein an der Kreuzbergstraße 15 zu besuchen ist. In der Barmer Straße 22 liegen vier Steine, die an das Schicksal der Familie Julius und Klementine Winter und deren zwei Kinder Gertrud und Hermann erinnern. Julius starb in Theresienstadt, Klementine in Auschwitz, die beiden Kinder in Lodz.
Ein weiteres sichtbares Zeichen für jüdisches Leben in Lüttringhausen ist der „Jüdische Friedhof“ in Lüttringhausen. Die kleine Parzelle ist eigentlich die Familiengrabstätte der Familie Löwenthal. Nach jüdischem Glauben darf eine Grabstätte nicht mehrfach genutzt werden, so dass im Jahr 1906 dort keine Bestattungen mehr vorgenommen werden konnten. Die Grabstätte wurde 1939 von Lüttringhauser Nazis zerstört. Wie Günter Urspruch weiß, hielt sich jahrelang das Gerücht, Teile der Grabsteine würden in Gärten der Zerstörer liegen. Beweise dafür gab es allerdings nie. Im Jahr 1949 wurde die kleine Parzelle von der Stadt Remscheid wieder hergerichtet. Die Pflege der Grabstätte obliegt bis heute der Stadt. Wünschenswert wäre es, erklärt Urspruch, wenn vielleicht einmal eine Remscheider Straße nach der Familie Löwenthal benannt würde. Mehr Zeugnisse jüdischen Lebens sind in Lüttringhausen nicht vorhanden.