Die Lüttringhauser Gespräche 2019 haben begonnen. Zur ersten Runde am Abend des 12. November im evangelischen Gemeindehaus am Ludwig-Steil-Platz in Lüttringhausen referierten gleich zwei hochkarätige Gäste vor dreissig Besuchern. Thema war das soziale Klima im Allgemeinen und in Remscheid im Besonderen.
Prof. Dr. Ulrich Deinet, Sozialwissenschaftler aus Düsseldorf, arbeitete im Rahmen seines Vortrages recht schnell das eigentliche Thema heraus: „Wir müssen Kinder und Jugendliche stärker beteiligen.“ Er bezog sich in vielen seiner Aussagen auf selbst erhobene Umfragen unter Jugendlichen, sowohl solche, die in Großstädten als auch welche, die im ländlichen Gebiet leben.
Kinder und Jugendliche stärker beteiligen
Die Jugendlichen von heute, führte Prof. Dr. Deinet aus, sind multitaskfähig im hohen Maße. Musikhören während der Erledigung von Schularbeiten ist völlig normal. Viele googlen bei seinen Vorträgen in Schulen, oder bewegen sich auf andere Art im Internet, ohne die Aufmerksamkeit auf den Vortrag zu vernachlässigen. Bemerkenswerterweise kam der Professor anhand seiner Umfragen zum Ergebnis, dass die großen sozialräumlichen Unterschiede im Erleben von Jugendlichen nicht mehr existieren. „Das Stadt-Landgefälle gibt es so nicht mehr.“
Die Familie sei und bleibe der Mittelpunkt, auch Jugendliche sehen das so. Der Kreis um die Familie herum werde im Laufe des Lebens immer größer. Der Freundeskreis vergrößert sich, Schule und Beruf haben Einfluss. Im Alter verkleinert sich das wieder, und am Schluss besteht der äußere Raum eines sehr alten Menschen aus dem eigenen Kopf.
Nicht nur Jugendlichen sind virtuelle Räume wichtig geworden. „Heutzutage hat jeder im Bus ein Handy in der Hand.“
Die Handlungsräume für Jugendliche müssen erweitert werden, ist sich Prof. Deinet sicher. Aber Infrastrukturen für Jugendliche herzustellen, sei nicht einfach. Am Ende seines Vortrages erwähnte der Referent die Stadt Hilden, die ein Kinder- und Jugendparlament unterhält. „Natürlich muss man sehen, wie weit die Mitbestimmung geht.“
Andy Dino Iussa, Theaterregisseur, Dramaturg, Kulturprojektentwickler und Engangementförderer in der katholischen Pfarrei St. Bonaventura und Heilig Kreuz stimmte dem Professor im Vielen zu. Er sehe Kunst als einen Prozess, um gesellschaftliche Entwicklung voranzubringen. Er bemühe sich, Begegnungen außerhalb der Routine zu ermöglichen.
Iussa erzählte von seinem Projekt „Weltort Lennep“. In diesem Projekt werden die persönlichen Schicksale von Menschen – gleich welcher Herkunft – in einem Stadtrundgang durch Lennep erlebbar. Iussa betont mit diesem Projekt das Gemeinsame der Menschen. Bewegend schildert er, wie eine alte Frau aus Schlesien bei einem Stadtrundgang das Schicksal eines syrischen Flüchtlings erzählt. „Für dieses Projekt ist der Lenneper ‚Lotsenpunkt‘ extrem wichtig“. erzählt er. „Da treffen sich Menschen und verbringen Zeit miteinander. Nicht nur in diesem Projekt wird die Herkunft der Menschen völlig unwichtig.“
Preis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus
„Weltort Lennep“ hat den katholischen Preis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus erhalten. Aus diesem Projekt hat sich ein weiteres gebildet, das Iussa „Weltort Garten“ genannt hat und in dem gemeinsam ein großes Gelände bewirtschaftet werden soll. Eine Menge kulturelle Events sind dazu angedacht. Am Wichtigsten, so Iussa, sei die Bereitschaft, andere Menschen wahrnehmen zu wollen.
Die anschließende Diskussion mit dem Publikum brachte zwei bemerkenswerte Äußerungen hervor. Professor Deinet, noch einmal auf die Jugend angesprochen, erklärte: „Ein reiches Land wie Deutschland hat einen Anteil an Kinderarmut, der unverantwortlich ist. Der tritt nicht so deutlich zu Tage, aber ist da, nicht nur statistisch.“
Das Schlusswort hatte eine Besucherin. „Die Erwachsenen müssen noch viel lernen.“